Von Mäusedarm, Affengehirn und dem großen „Warum?“

- Eine Geisteswissenschaftlerin der HHU schnuppert sich durch einen medizinischen

Tag der offenen Tür in den Essener Uni Kliniken -

Unaufhaltsam entfaltet sich bereits beim Öffnen der Türe der obligatorische Krankenhausduft. Als ich das laut bekunde, sagt Melanie nur trocken „Nee, das ist nicht schlimm! Aber die Patho stinkt manchmal unerträglich“. Melanie macht eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Laborassistentin und führt mich am Tag der offenen Tür der MTLA – Schule durch die Essener Uni-Kliniken, wo es viel Beeindruckendes zu sehen gibt.

Weiße Wände und Böden und Menschen in weißen Kitteln begegnen uns auf den Fluren der Forschungslabore. Als wir an der Pathologie vorbeigehen und ich auf einem weiteren Schild „Sektionsraum“ lese, halte ich vorsichtshalber die Luft an und laufe ein bißchen schneller.

Schüler und Lehrer hatten die Schulforschungslabore vorher bereits mit Mikroskopen und Präparaten ausgestattet. Nicht nur die liebevoll gestalteten Informationsplakate an den Wänden klären auf, sondern zahlreiche kompetente Schüler und Doktoranten standen mit Rat und Tat zur Seite.

Melanie erklärt mir zum Beispiel einzelne Verfahren, um Bakterien nachzuweisen, aber die acht Reagenzgläser in denen sich neongrüne, pinke, blaue, gelbe, grüne, pink-gelbe Flüssigkeiten befinden, faszinieren mich zu sehr, um die einzelnen Schritte und Tabellen zu verstehen. Fazit ist allerdings trotzdem: Bakterien stinken! E.coli ganz besonders.

Unter den Mikroskopen liegen Präparate von Patienten und überall sehe ich Begriffe wie „Leukämie“, „Anämie“, „Krebs“, u.s.w.

Ich fühle mich ein bißchen wie bei der Sesamstraße und ertappe mich bei einem ständigen „Warum?“ (z.B. „Warum heißt das Paragon?“ Und „wieso wird das blau?“ „Warum genau 10 Jahre?“, „Wie hält man das auseinander?“). Da ich Anglistik und Germanistik studiere – und dementsprechend das obligatorische „warum?“ im Blut habe -, merke ich schnell, dass Mediziner und Geisteswissenschaftler ganz anders denken und so erhalte ich als Antwort meistens ein für mich enttäuschendes „Ich weiß nicht. Das ist für uns nicht wichtig“.

Besonders fremdartig und abstoßend wird es bei den Parasiten. In einem viereckigen Glas schwimmt ein weißer Bandwurm, wie man ihn nur aus dem Fernsehen kennt. In dem Glas daneben ein Fadenwurm, den ich mir viel  kleiner vorgestellt hatte. Eine Sekunde bekomme ich Angst, dass man den Bandwurm aus seinem Glas holt und seziert. Stattdessen gucken wir uns durch die Mikroskope die Larven an. Ich kann Bandwurm von Fadenwurm nicht unterscheiden, obwohl das angeblich „gar nicht so schwer ist“. Beide Parasiten sind allerdings nicht gerade attraktiv.

Endlich kommt etwas, was auch mir richtig gut gefällt: Ein „Diskussionsmikroskop“. Das ist ein großer Apparat, an dem drei verschiedene Vorrichtungen zum mikroskopieren angebracht sind, d.h. drei Leute schauen sich gemeinsam ein Präparat an und diskutieren dann über das, was sie sehen. Das würde mir auch Spaß machen.

Weniger zeitaufwendig ist dagegen die Blutgruppenbestimmung, die zum Beispiel vor jeder Bluttransfusion durchgeführt werden muss. In einen beschrifteten Plastikbehälter werden verschiedene synthetisch - hergestellte Antikörper getropft und dann mit einem Tropfen Blut vermischt. Die Blutprobe ist so rot wie in medizinischen Comiczeitschriften, weil es vorher verdünnt wurde. Eigentlich stellt man sich als Kind Blut immer genauso vor, aber jetzt hier wirkt es extrem künstlich.

Im Nebenraum erklärt man mir, wie man „eindeckt“, also Proben für das mikroskopieren und für das spätere archivieren vorbehandelt. Gewebe von Haut, Darm und Mäuseleber sind schon  – als solche nicht mehr erkennbar - auf den Plättchen verteilt. Das Darmgewebe sieht für mich aus wie ein Gehirn und ich muss einsehen: Die Medizin ist einfach nicht mein Bereich. Auch als Melanie das bräunliche Glas mit dem Rhesus-Affengehirn ganz unbekümmert schüttelt und mich ein seltsames Gefühl von der Kopfhaut bis zu den Zehenspitzen erfasst, bestätigt sich dieser Eindruck.

Zum Abschluss gibt es im Klassenraum des Unterkurses noch Kaffee und Kuchen. Komischerweise habe ich sogar Hunger und versuche beim Fantakuchen die Würmer und Hefepilze zu vergessen. Auch wenn es ein sehr interessanter Ausflug war, werde ich froh sein, bald wieder durch die Phil Fak zu laufen und ständig zu fragen „Warum?“